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FUCHS

Die längste Geschichte die ich je geschrieben habe... Mit der größten metaphorischen Bedeutung all meiner Werke...







FUCHS



Sie spürte die kalten Schellen ihre Handgelenke schürfen. Die Sirene auf dem Dach des Transporters verstummte. Sie hatten die kritische Zone verlassen, fuhren über die nahezu leere Landstraße. Durch die kleinen getönten Scheiben konnte sie die Felder sehen. Warm und schwer lag der Geruch von Korn in der Luft, löste ihn doch die Sonne, vom Thron ihres wolkenlosen Himmels aus, von jenen goldenen Ähren, die Landschaft zu schmücken. Noch zitterten ihre Hände, bebte ihre Brust. Doch lange nicht mehr so wüst wie noch vor wenigen Minuten.
Der Polizist saß neben ihr. Nahezu erstarrt fixierte er die zwei Männer, die ihnen gegenüber platziert waren. Der linke von beiden, ein schmächtiger mit kurzen, dunklen Haaren, hätte eher in einen Krankenwagen gehört als hier hin. Das dunkle Rot bildete einen schaurigen Kontrast zu dem sonst totenbleichen Gesicht, noch immer schlichen leise Perlen über ihre bereits ausgedörrten Freunde. Es schien ihn seiner letzten Kräfte zu verlangen, halbwegs gerade sitzen zu bleiben. Wohlmöglich gelang es ihm nur, durch die stützende Schulter, die ihm der andere schützend vor die Brust drückte. Diese brüderliche Geste ließ sie aufblicken, schaute sie sich den Mann ihr gegenüber genauer an. Sein Gesicht war stark gerötet, die Augen schmal und klamm, die Jeans zerrissen, das Hemd fast gar nicht mehr vorhanden. Sein Körper hundertfach vom Kampf gezeichnet. Und doch saß er dort, aufrecht, nahezu lässig, den Kopf erhoben und ein beinahe unmerkliches Lächeln auf den Lippen, das aus Trotz und Stolz gebrannt zu sein schien. Bemerkte sie erst ihr starren, als er sie darauf aufmerksam machte, durchbrachen seine forschenden Augen ihre Überlegungen.
Sie spürte, dass etwas vor sich ging, die Luft schien geschnitten scharf. Vermochte sie doch nicht zu fassen was es war, so wusste sie bereits, dass auch ihr ein Platz in kommenden Ereignissen zugedacht war. Als hätte er ihre Gedanken erraten nickte er ihr in stillem Einverständnis zu. Ließ sie halb verdeckt seine linke Hand sehen. Sekunden brauchte sie zu begreifen, dass er sie irgendwie aus seinen eisernen Fesseln befreit haben musste.
Plötzlich ging alles sehr schnell. Der Dunkelhaarige kippte endgültig zur Seite weg und viel schwer zu Boden. Der Polizist sprang auf, doch noch bevor er ihn bei den Schultern fassen konnte, bekam er seinen schweren Stiefel zu spüren. Auch der dritte Mann im Hinterraum des Wagens war aufgesprungen. Schlug dem bereits getroffenen die Faust ins Gesicht und entriss ihm die schwarze Waffe aus dem Halfter. Noch ehe der Bestohlene begriff was ihm gerade entwendet worden war, durchschlug die Kugel seinen Kopf.
Der Wagen stoppte in Vollbremsung. Schlug den neuen Träger der Waffe gegen das Gitter zum Fahrerraum. Riss er den Arm herum, dass die Pistole in Augenhöhe des zweiten Wachmannes war. Hieß ihn an, die Hände zu heben, vorsichtig wieder zu starten, langsam auf schmalen Pfad zu lenken, der den Wagen von Hafer gesäumt ins dunkle Grün des Waldes trug. Als der Bäume Schatten sie empfing, hielten sie an, verstummte der Motor. Die wenigen Sekunden der Stille von einem zweiten Schuss zerrissen.
Der Polizist hatte daneben gezielt. Hatte sein Vorhaben nicht bedenken können. Zu zögerlich ausgeführt. Der Fehler ließ ihn zur Buße seinem unglücklichen Kollegen folgen. Am Arm des Schützen baumelte immer noch die Handschelle. Es schien ihn nicht zu stören, selbst nicht, als sie ihm ins Gesicht schlug, während er sich lachend über den kahlrasierten Schädel fuhr. Auch sein dunkelhaariger Freund begann zu lachen, noch immer am Boden liegend, hatte er sich mit einem Arm seitlich abgestützt und sah sie an. Beinahe ließ sie sich von solch triumphaler Siegesstimmung anstecken, doch plötzlich riss ein überwältigender Schmerz schwarze Schleier über ihre Wahrnehmung, spürte sie den pochenden Ursprung an ihrer Schulter, bemerkte erst jetzt das warme rinnen an ihrem Arm. Kam nicht mehr dazu ihre Verletzung zu begutachten ehe das Bewusstsein sie verließ.
Sie fühlte sich benommen, erwacht aus dumpfem träumen. Ihr Mund war vollkommen ausgetrocknet, die Lippen spröde und rissig. Konnte kaum die Augen öffnen, war sie doch geblendet von grellem Licht. Seitlich liegend versuchte sie sich wegzudrehen, spürte sie ihre Hände am Rücken fixiert. Durchbrach der Schmerz in der Schulter ihre Gedanken, brachte ihr Geschehenes in Erinnerung. Vorsichtig blinzelte sie durch schmale Schlitze, lag sie auf dem metallenen Boden des Wagens, die Türe weit geöffnet, schien die Sonne hoch vom Himmel auf sie hinab. Fühlte wie sich eine Hand auf ihren Arm legte, ihn sanft umschloss. Trotzdem ließ der Schreck sie zusammenfahren, hatte sie nicht bedacht, jemand könnte in der Nähe sein. „Schhhht!“ hieß sie die Stimme an. „Ganz ruhig! Ist alles ok!“ Spürte wie man sie hinauf zog, so dass sie sitzen konnte. Zwei rehbraune Augen blickten sie sanft und besorgt an. Welch herber Kontrast zu dem, mit Schmutz und Blut verschmierten Gesicht. „Hast du starke Schmerzen?“ Sie wurde sich erst der Lüge bewusst, als sie schon aufgehört hatte den Kopf zu schütteln. „Gut, ich hatte schon gedacht du wachst gar nicht mehr auf!“ Ruckartig riss sie den Kopf herum, versuchte die Wunde an ihrer Schulter zu begutachten. Sie hatten ihr den Ärmel abgerissen und mit irgendwelchen Stofffetzen einen Verband angebracht. „Keine Angst! Die Kugel hat dich bloß leicht gestriffen, wirklich nicht schlimm. Du musst nur den Arm ruhig halten, damit es nicht wieder anfängt zu bluten! Verdammte Drecksbullen!“
Erst jetzt fielen ihr wieder die beiden Toten ein. Sie schaute sich vorsichtig um. Von dem Polizisten war keine Spur zu sehen, abgesehen von den Knochen und Geweberesten die in eigenwilligem Muster das Wageninnere schmückend sprenkelten. Erst jetzt viel ihr der beißende Geruch auf, dem die Spätsommerhitze aus den klebrigen Blutlachen des Bodens sog. „Ich bin Lucien!“, der Dunkelhaarige sah sie erwartungsvoll an. „Hanna, ich heiße Hanna.“ Sie erschrak vor dem heiseren, rauen Klang ihrer eigenen Stimme. „Hanna, hm?“, er nickte. „Hanna“, wiederholte er, als kostete es ihn größte Mühe sich ihren Namen einzuprägen. Dann sah er auf. Blickte in die Ferne und ein breites Lächeln erhellte sein vorher so ernstes Gesicht.
„Das ist Fuchs!“ Aus der Richtung, die er ihr deutete, kam lässig schlendernd der ruhmreiche Schütze auf den Wagen zu. An jedem seiner kräftigen Arme hielt er einen Eimer, die Pistole unterm Gürtel in den Bund der blutverschmierten Jeans gesteckt, trug er kein Hemd mehr. Erst jetzt erkannte sie die Herkunft ihres Verbandes. Als er die schweren Eimer abstellte schwappte kaltes Wasser über ihre Beine.
„Da vorne ist ein Friedhof, keine hundert Meter von hier!“ Er zeigte auf die Eimer. „Trinken, waschen, dann organisieren wir uns ne Karre!“ „Was ist mit ihr?“ Lucien war aus dem Wagen gestiegen und trank mit Hilfe seiner schmutzigen Hände in hastigen, langen Zügen von der klaren Flüssigkeit. Der Kahlgeschorene zuckte lediglich mit den Achseln. „Sie heißt Hanna!“ Er zwinkerte ihr aufmunternd zu. „Mir ist’ s egal, soll sie doch machen was sie will!“ „Können wir sie nicht losmachen? Nur damit sie sich waschen kann- und trinken! Sie hat bestimmt lange nichts getrunken!“ Fuchs musterte sie von Kopf bis Fuß. „Wie lang warst du drin?“ „Zwei tage!“ Sie spürte ihre Stimme brechen. „Zwei Tage, ja? Zwei Tage ohne Essen und Trinken? Na prima! Unsere Elite!“ Sein Lachen war voller Hohn. Empört warf sie den Kopf in den Nacken. „Wir hatten nicht angenommen, dass es so lange halten würde! Darauf waren wir nicht vorbereitet! Das Konnte doch niemand wissen!“ Er schnaubte verächtlich, kramte einen kleinen Schlüsselbund aus seinen Hosentaschen und warf ihn ihr vor die Füße. Dann stapfte er schweren Schrittes um den Wagen, aus ihrem Blickfeld.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie die Einzige war, die noch Handschellen trug. Sie bemühte sich die Schlüssel zu greifen. Versuchte sich zu drehen. Millimeterweise kam sie ihrem Ziel näher, doch mit jeder Bewegung schmerzte ihre Schulter mehr. Endlich gelang es ihr den Bund zu fassen. Zog den Ring empor, striff ihn über die Finger. Suchte einen Schlüssel der geeignet schien, wusste doch nicht ihn zu benutzen. Tränen stiegen in ihre Augen, Tränen von Wut und Schmerz und Ohnmacht. Lucien hielt im Bewegen inne, wusch er doch gerade Oberkörper und Gesicht frei von Blut und Schmutz. „Warte Hanna!“ Er trocknete die klamme Haut mit seinem T-Shirt und ließ sich neben ihr, in der Tür des Wagens nieder. Rasch hatte er sie befreit. Schrie sie vor Pein, sah Röte durch den Verband des einstigen Unterhemds steigen. „Ich hab doch gesagt, dass du ihn ruhig halten musst!“ Er packte ihren Arm, zerrte den Stoff hinunter. Endlich konnte sie sich ein Bild von ihrer Verletzung machen.
Es sah weit weniger schlimm aus, als sie gedacht hatte. Die Kugel konnte sie wirklich nur leicht gestriffen haben, hatte sie bloß eine tiefe Furche in die seitliche Wölbung ihrer Schulter gerissen. Die wenigen Kubikzentimeter Fleisch, die ihr fehlten, schienen verschwindend gering, im Gegensatz zu den Schmerzen, die die gesamte linke Seite ihres Oberkörpers durchfluteten. Blut lief in dünnem Rinnsal ihren Arm hinab, begann still vom Ellebogen zu tropfen. „Ich schau mal nach, ob die ’nen Verbandskasten im Vorderraum haben!“ Er stand auf und sie konnte hören, wie er sich an der Beifahrertür zu schaffen machte. „Verdammte Scheiße! Ich brauche ’nen Draht oder ’ne Stange- irgendwie so was!“ Er kam zurück in den Wagen geklettert, sah sich im Innenraum um. Erkundete die Sitzbänke, zerrte an den Verstrebungen. Ein lauter Knall ließ sie beide zusammenfahren.
Durch die Gitterwand konnte sie Fuchs erkennen, der mit einem Metallrohr die Scheibe der Fahrertür zerschlug. Als das Glas genügend beseitigt war, lehnte er sich durchs Fenster hinein, zog den Schlüssel von der Zündung und öffnete die Türe. Er lachte auf. „Mein Gott, das Schwein hat’s ja noch schlimmer erwischt als den anderen! Hier ist alles voll mit seinem verdammten Gehirngematsche! Bis jetzt hab ich gar nicht gewusst, dass Bullen so was überhaupt besitzen!“ Wieder lachte er dreckig, während er sich hinunterbeugte um scheinbar etwas am Boden der Fahrerkabine zu suchen. Er zog eine rote Plastikbox hervor, kam um den Wagen herum und ließ sich schwer neben sie fallen.
Mit einemmal wurde er sehr behutsam. Er säuberte ihre Wunde, legte ihr einen strammen Verband an, fixierte den Oberarm am Körper und legte den unteren Teil in eine Schlinge. „So!“, sagte er, tätschelte ihr Gesicht. „So ist’s fein!“ Er strahlte sie an, schloss sie in sein Lächeln mit ein. In diesem kurzen Moment fühlte sie sich ihm plötzlich unendlich nah. War seine harte Schale so spröde in den Händen ihrer Verletzlichkeit geworden. War an ihrer Weiblichkeit zerbröckelt. Doch der Augenblick wollte nicht verweilen, schob die Zukunft ein so hartes Regime, vermag sie och niemand zu stoppen. Als er sich erhob hatte die Zärtlichkeit seine Züge verlassen, war die Härte längst zurückgekehrt. „Los jetzt! Wir müssen uns beeilen!“ Ohne einen weiteren Blick auf sie oder Lucien marschierte er davon.
Sie versuchte aufzustehen, riss der Schwindel sie nieder. Lucien war bereits aus dem Wagen gestiegen. Als er ihr Bemühen sah, hielt er inne. Schien unentschlossen. Hin und her gerissen schaute er seinem Freund nach, betrachtete wieder sie und blickte erneut in die Richtung in die Fuchs so zielstrebig verschwunden war. „Bitte!“, sagte sie flehend. „Bitte lasst mich hier nicht zurück!“ Er sah sie traurig an. „Noch hast du nichts damit zu tun! Noch hast du nichts falsch gemacht!“ „ Und wenn sie mir nicht glauben?“ Ratlos blickte er umher. „Bitte! Wenigstens bis zu diesem Friedhof!“ Wieder blickte er in die Ferne. „Bitte!“ Ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern. Seufzend warf er seinen Kopf in den Nacken, drehte sich vollends um und kam zurück.
Er stellte sich an ihre unverletzte Seite, platzierte ihren Arm auf seiner Schulter, zog sie an ihrer Taille vorsichtig hinauf. Sie verharrten einige Sekunden wortlos in dieser Situation, dann begann er los zu laufen, schob sie sanft Stück für Stück vorwärts. Bemühte sich seinem Schritt zu folgen, wurde er doch immer schneller. Schwarze Schleier trübten ihren Blick, doch gestattete sie sich keine Rast. Ihre Füße flogen über den Boden, wäre sie doch zu Zeiten gestürzt, hätten die starken Arme sie nicht fest im Griff.
Bald sahen sie den Friedhof. Still lag er in nachmittäglichem Licht. Friedlich und sauber, akkurat und schweigend. Schon kamen sie auf den Parkplatz. Da stand er. Die Jeans über den Waden gekrempelt, die Hosenträger hingen lose herunter, die Arme vor der bloßen Brust verschränkt, lehnte er gegen die feuerrote Motorhaube des Cabrios. „Unser Fluchtwagen!“, rief er lachend, während er grob das lackierte Metall tätschelte. „Unauffälliger ging’s nicht?“ Lucien hielt inne. „Nein!“, entgegnete Fuchs und öffnete die Wagentüre. „Dann setz deine heiße Braut mal in unseren neuen Schlitten! Ich wusste doch das du’s…“
Das heulen der Sirene riss seinen Satz in Stücke. Wie erstarrt blieben alle drei in ihrem Bewegen stehen. Dann bog der Streifenwagen auf die Zufahrt zum Parkplatz. „Schnell, Hanna!“ Lucien packte sie fest, zerrte Richtung Auto. Plötzlich überkam sie die Ohnmacht. Zog sie zu Boden. Kaum hörte sie die Stimmen, das Rufen und Schreien. Kaum hörte sie die Schüsse, flogen die Kugeln auch geradewegs über sie hinweg. Spürte wie man sie packte, empor riss. Spürte die groben festen Hände, die sie noch vor Minuten so liebevoll versorgt hatten. „Steig ein, Hanna! Steig ein, verdammt noch mal! Hanna! Hanna!“
Immer wieder hörte sie ihn ihren Namen rufen. Wie schön er von seinen Lippen klang. Vergaß sie doch die ganze Welt um sich herum. Wieder konnte sie ihren Kräften nicht trauen, fiel schwer zu Boden. Direkt vor ihr lag Lucien. Angesicht in Angesicht blickte sie in seine weiten, leeren Augen. Sah wie Fuchs an seinem Körper zerrte, ihn in den Wagen schleppte. Erhob sie sich langsam, kletterte wie in Trance auf die hintere Sitzbank. Sah zu als Fuchs dem leblosen Körper vorsichtig den Gurt umlegte, die Tür zuschlug, um den Wagen rannte, einstieg, den Wagen kurzschloss.
In rasender Geschwindigkeit fuhren sie über den Friedhof, der theatralischen Szenerie davon. Passierten die Gedenkstätten, blasse Schatten, längst vergessener Gestalten. Wie gebannt starrte sie auf die sich immer wieder verändernde Umgebung. Fuhren sie durch den Wald, quer über die blühenden Äcker, rasten die schmalen Pfade zwischen den goldenen Feldern entlang. Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden. Erschöpfung ließ sie träumen. Sie schlief ein, lange bevor der Tank leer wurde.
Als sie aufwachte dämmerte bereits der Abend. Die Sonne lag tief und blutig am Horizont, färbte den Himmel rot. Der Wagen parkte auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von Wald und Bäumen. In der Ferne konnte sie die Lichter einer fremden Stadt sehen. Erwachte sie aus ihrem Schlaf der Tagesschicht, auf die Lebendigkeit vorbereitend, schmückte sich mit elektrischem Leuchten zu schwarzem Schattengewand, machte sich ausgehfein.
Der Abend krabbelte über ihren Körper, lief in eisigen Schauern ihre Haut entlang, zitterte sie schon am ganzen Leib. Sie war allein. Totenstille. Nur Dunkelheit und Kälte um sie herum. Minuten verharrte sie lauschend. Fühlte sich verlassen und verraten. Wusste nicht wo sie war. Schließlich entschied sie sich zu gehen. Hatte man sie hier zurückgelassen, würde sie jetzt diesen ort zurücklassen. Das Knallen der Autotür durchstob die Ruhe des menschenlosen Friedens, riss die tief verwurzelte Angst in ihr Bewusstsein, die sie seit Kindheit an vor der Nacht zu fürchten wusste. War ihr Zittern längst nicht mehr nur Folge der Kälte, schlich sie doch, wild um sich blickend, eine Fußbreite vor die andere.
Die finstere Gestalt stand plötzlich vor ihr. Keine fünf Meter entfernt. Machte kein Geräusch, kein Bewegen. Der Schreck fuhr durch ihre Glieder, saß pochend in der Brust. Selbst noch als sie Fuchs erkannte. Reglos, das Gesicht von schmerz und Trauer gezeichnet. „Wo ist Lucien?“ Er hob resignierend die Schultern. Erst jetzt bemerkte sie die Schaufel, die seine Hände umschlossen hielten. Das Weinen schüttelte ihren Körper, stürzte sie in seine Arme, übersäte sein Gesicht mit Küssen. Hielt er sie fest an sich gepresst. Blieb er auch vollkommen ruhig, spürte sie die klamme Haut an seinen Wangen. Drückte ihren Kopf auf seine Brust. „Du bist ganz durchgefroren! Außerdem hast du noch nichts getrunken!“ Seine starken Arme brachten sie zum Auto zurück. Küsste ihre Stirn, küsste ihre Augen, küsste ihren Mund. Dann setzte er sie behutsam in den Wagen.
Sie fuhren langsam und ohne Licht auf verlassenen Wegen. Durch die Bäume sah sie schwaches Licht aufblitzen. Ein Haus. Einsam stand es am Rand der riesigen Felder. Schien auf sie gewartet zu haben. In der Einfahrt parkte ein Auto.
Fuchs hielt an und stellte den Motor ab. „Ok, wir haben keinen Sprit mehr, kein Geld, und nix zum Essen. Ich geh jetzt da rein und schau was ich kriegen kann. Du wartest hier und rührst dich kein Stück, bis ich wieder da bin! Verstanden?“ Sie nickte eifrig, blieb ihr doch nichts anderes übrig. Wieder berührten sein Mund ihre Lippen, schmiegte sich sanft an sie. Sein Kuss voll Leidenschaft, hielt er ihren Kopf in den Händen. „Lauf nicht weg, ich brauch dich noch!“, sagte er mit Bestimmtheit und in seinem Lächeln lag jene geheimnisvolle Verheißung, die ihr die Hitze in den Schoß blühen ließ. Wieder blieb sie allein zurück. Konnte seine Silhouette in der Ferne des Hauses entschwinden sehen.
Schlafend lag es da, einzig eine blasse Laterne erhellte die dramatische Inszenierung seines Abgangs. Als er die Straße überquert hatte und hinter dem Gebäude verschwunden war, fiel der Vorhang.
Doch die Pause hielt nicht lange, war kürzer als sie gedacht hatte. Erleuchtete doch plötzlich ein Fenster. Ein schriller, gellender Schrei. Ließ sie bis ins Mark ihrer Knochen erschaudern. Dann Stille. Minuten schleppten sich durch ihr Bewusstsein. Raste ihr das Herz in der Brust. Kaum konnte sie noch Atem fassen. So verbrachte sie eine Ewigkeit.
Endlich Bewegung im Haus. Jemand öffnete die Eingangstüre. Erkannte sie gleich ihren Helden, ging er zur Auffahrt hinüber. Entriegelte das dort geparkte Fahrzeug. Stieg ein. Ließ den Motor an. Panik verkrampfte ihr Herz. Würde er sie verlassen? Sie riss die Beifahrertür auf, sprang aus dem Wagen und rannte stolpernd auf die so beängstlich scheinende Szenerie zu. Kaum hatte sie das Dunkel des Waldes hinter sich gelassen, sah sie ihn zurück ins Haus gehen und als sie endlich den Wagen erreicht hatte trat er gerade, mit vollbeladenen Armen wieder ins Freie.
„Ich hatte doch gesagt du sollst warten!“ Seine Stimme war scharf und drohend. „Ich hatte Angst du würdest ohne mich fahren!“ War sie doch den Tränen nahe. „Och, Süße!“ Er legte sein Diebesgut auf die Motorhaube, schloss seine Arme um sie, sie wiegend zu trösten. Wortlos zog er einen Pullover zwischen den Sachen hervor, striff ihn ihr über. Erst jetzt bemerkte sie, dass er selbst Luciens schmutziges T-Shirt trug. „Hier, nimm das! Und trink etwas!“ er reichte ihr einen Film Tabletten und eine Flasche Wasser.
Als sie eine Weile Gefahren waren bemerkte sie ein Schild die Straße säumen, kündigte es die Grenze an. Sah er ihren erschrockenen Blick. „Ich habe Freunde dort, nur bis sich alles beruhigt hat!“ Sie versuchte schwer zu schlucken, war doch ihr Mund mit Brot und Wurst gefüllt. „Was ist im Haus passiert?“ Er schaute starr auf die Straße. „Ich habe eine Frau schreien gehört!“ Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Ihre Stimme ein ängstliches Flüstern: „Hast du sie umgebracht?“ Er sah sie an, betrachtete lange ihr von Furcht verzerrtes Gesicht. „Nein!“ erwiderte er knapp, doch seine Augen sagten: “Frag nicht!“
Kurz bevor sie die Grenze erreichten lenkte Fuchs den Wagen erneut zischen die Felder, parkte ihn auf einem von Bäumen gesäumten Platz. Sie hatten nicht mehr gesprochen und auch jetzt sagte keiner von ihnen ein Wort. Verriegelte er die Türen, stellte seinen Sitz in Liegeposition. Sie blieb noch lange wach. Sah ihm beim Schlafen zu. Nickte über die Bewegung seines Atmens ein.
Laute Rufe rissen sie aus wilden Träumen. Schlug sie die Augen auf. Der Tag war längst erwacht. Der Polizist vor ihrem Fenster ließ sie erstarren. „Wie viele?“, flüsterte Fuchs, ohne die Augen zu öffnen. Hastig sah sie sich um. „Zwei!“ Hatte sie gerade den Streifenwagen erblickt. Der Polizist klopfte erneut gegen das Fenster.
Vorsichtig kurbelte sie die Scheibe hinunter. Zu ihrer Überraschung war der Beamte sehr freundlich. Was sie hier machen würden, wollte er wissen. Ob alles in Ordnung sei. Er müsse die Ausweise kontrollieren, der Form halber. Ob es ihr gut ginge. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Er griff durch den Spalt zwischen Glas und Metall, öffnete die Türe. Sie solle aussteigen. Zog sie am Arm aus dem Wagen. Sie konnte nicht mehr sprechen noch bewegen. Fuchs lag noch immer regungslos im Innenraum.
Der zweite beamte kam herüber. Ob es Probleme gäbe. Er solle den Mann wecken, die Frau spreche nicht. Bevor der Polizist sich umgewand hatte, war Fuchs aus dem Wagen gestiegen. „Meine Frau ist krank!“, sagte er ruhig und sicher. „Bitte lassen sie sie los, bevor sie wieder einen Anfall bekommt!“ Langsam kam er um den Wagen herum.
Er solle stehen bleiben. Fuchs gehorchte nicht. Er solle sofort stehen bleiben. Fuchs schritt weiter vorwärts. Der Beamte der ihren Arm hielt, hatte schon die Hand am Halfter, als die erste Kugel auf seine Stirn zuraste. Es war die falsche Entscheidung.
Bevor Fuchs auf den zweiten zielen konnte schlug dieser ihm die Waffe aus der Hand. Die beiden Männer begannen einen Kampf um Leben und Tod. Lagen sie bald schon kräftemessend am Boden. Sie sah die Pistole im Staub des Bodens liegen. Nur wenige Schritte entfernt. Ein innerer Impuls trieb sie immer weiter auf die Waffe zu. Kam sie ihr immer näher. Packte den schwarzen Griff, richtete den kalten Lauf auf die kämpfenden Männer. „Schieß!“, schrie ihr Fuchs entgegen. Der Polizist riss den Kopf herum, blickte ihr direkt in die Augen. „Schieß!“ Es schien ihr, als hätte jemand die Zeit angehalten. Das einzige Bewegen war das Spiel des Windes, das die Blätter der Bäume rascheln ließ, die Gräser durchfuhr, die leuchtenden Ähren bog. „Schieß!“
Sie konnte nicht. Ohnmächtig sah sie zu, wie Fuchs dem Erstarrten einen schweren Faustschlag ins Gesicht versetzte. Die Verwirrung seines Gegners nutzte, ein Messer aus seinem Stiefel zu ziehen. Sah wie die glitzernde Klinge tief in der Brust des Schreienden versank. Konnte sie vor lauter Schreck den Kopf nicht abwenden. Starrte unentwegt auf den sich verkrampfenden Körper. Fuchs war aufgestanden. Klopfte sich seelenruhig den Staub aus den Kleidern, während sein Gegner ums überleben kämpfte.
Mit dem blutigen Metall in der Hand kam er auf sie zu. „Waffe runter Süße!“ Hielt sie die Pistole immer noch erhoben. War nicht fähig sich zu rühren, selbst nicht als er sich neben sie stellte, seinen Arm um sie legte. „Dann mach ihn fertig!“ Sie fühlte sich wie festgefroren. „Na los, schieß!“ Er packte fest ihre verletzte Schulter. Schmerz durchflutete sie. „Was ist los? Hast du etwa Mitleid mit ’nem Bullen?“ Sie konnte nicht mal den Kopf bewegen, ihre Augen starr auf den sich windenden Leib gebannt. Er stieß sie hart zu Boden. „Na los, Schlampe! Erschieß ihn!“ Tränen rollten ihre Wangen hinab, kniete sie im Staub. „Stehst du auf ihn, oder was starrst du ihn so an?“ Schwer flog sein Stiefel gegen ihre Hände, schwarzes Leder schlug die Waffe aus ihrem schwachen Griff. „Na los, dann helf ihm doch!“ Er packte ihre Haare. „Los, du dreckige Nutte! Geh hin!“ Er zerrte sie hinter sich her, schubste sie auf den erschöpften Mann. „Da, nimm ihn dir!“ Sie brach weinend über dem blutüberströmten Körper zusammen.
„Lutsch seinen Schwanz!“ Sie schreckte hoch, glaubte nicht recht gehört zu haben. „Los!“ Schlug er ihr mit flacher Hand ins Gesicht. „Los, du dreckige Nutte!“ Immer wieder trafen seine harten Schläge ihre Wangen. „Los!“ Hielt er ihr das Messer an die Kehle, Seine Stimme kaum mehr als drohendes Wispern zu deuten. „Mach die Hose auf!“ Mit zitternden Händen tat sie wie ihr befohlen. „Runter ziehen!“ Unter Tränen sah sie den bittenden Blick des Kraftlosen, konnte er nicht mehr protestieren, konnte sie ihm keine Gnade gewähren. „Lutsch ihn!“ Er packte wieder ihre Haare, drückte ihren Kopf tief in den Schoß hinab.
„Mund auf!“, schrie er. Schlug ihr immer wieder mit der Faust in den Nacken. Sie winselte und bettelte er möge aufhören, weigerte sich bis er endlich die Hände von ihr nahm. Wollte schon aufatmen, da hörte sie seinen metallenen Reißverschluss kratzen.
Fühlte wie er seinen Körper an sie presste, seine Arme um sie legte, ihre Jeans öffnete, sie weit über ihre Schenkel schob. Spürte kalten Stahl an ihrer Scham, heißes Fleisch, sich in sie zu schieben. „Lutsch ihn!“, flüsterte er mit heiserer Stimme. Sie gehorchte nun, fühlte sie doch seine Faust, sich drohend in ihre Seite stemmend. Von Übelkeit geschüttelt spürte sie die Festigkeit in ihren Mund kriechen, ihn immer weiter auszufüllen.
Sein Begehren tief in ihrem Leib, nahm seine Faust den Rhythmus seiner Lenden an. Seine Knöchel splitterten ihre Rippen. Nahmen ihr die Luft, verkrampften sich doch ihre Lungen. Von festem Bewegen außer Atem, spürte sie seinen Schweiß ihren Körper hinab laufen. Spürte den Schmerz ihrer Schulter sie zur Ohnmacht treiben. Bäumte sich der Leib unter ihr doch auf, kraftlos erregt, von ihrem Munde. Fuchs drückte ihren Kopf hinunter, während er das Messer immer wieder in die bereits zerrissene Brust fahren ließ. Rostiges Nass vermischte sich mit salziger Wärme an ihren Lippen. Krampfte sich ihr Magen zusammen, erbrach siech über dem verendeten Geschlecht. Spürte die klamme Schneide an ihrem Hals, spürte immer wilder, was hoffnungsvoll nach Nässe lechzte. Konnte sich kaum mehr aufrecht halten. Er packte ihre Haare, hielt im Bewegen inne. Sein Mund schmiegte sich dicht an ihr Ohr, konnte seinen Odem spüren. Flüsterte er mit sanfter Stimme, ob sie wisse was mit der Frau im Haus geschehen sei. Sie hielt den Atem an.
Da fuhr die Klinge durch die Haut hindurch. In einer einzigen Bewegung, kaum eine Sekunde nur. Schon sah sie rote Bäche fließen. Spürte seinen letzten Akt. Durch die schmalen Lider konnte sie die Felder sehen. Warm und schwer lag der Geruch von Korn in der Luft, löste ihn doch die Sonne, vom Thron ihres wolkenlosen Himmels aus, von jenen goldenen Ähren, die Landschaft zu schmücken. Noch zitterten ihre Hände, bebte ihre Brust. Doch lange nicht mehr so wüst wie noch vor wenigen Sekunden.

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